Diese Webseite nutzt Cookies, um bestmögliche Funktionalität zu gewährleisten. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen zum Datenschutz.

5 Kurzgeschichten zu Teilhabe statt Ausgrenzung

Bleibt das Bundesteilhabegesetz, wie es ist, hat das schwerwiegende Folgen für viele Menschen mit geistiger Behinderung. Ihre Lebensumstände würden sich verschlechtern.

Beispielhaft beschreiben wir hier die Situation von Mario S., Alexander K., Conni M., Franziska P. und Melanie A. In den Lebenshilfen vor Ort gibt es zahlreiche Menschen mit geistiger Behinderung, auf die solche oder ähnliche Beschreibungen zutreffen.

Fotos: Hans D. Beyer. Szenen sind gestellt von Schauspieler(inne)n des Theaters RambaZamba Berlin www.theater-rambazamba.org, Grafik Michael Schultz, www.typelover.de 


Wer will schon raus aus seiner Nachbarschaft und ab ins Pflegeheim? © Foto Hans Beyer. Szenen sind gestellt von Schauspieler(inne)n des Theaters RambaZamba Berlin, Grafik Michael Schultz, www.typelover.de

Beispiel 1: Menschen mit Behinderung bei Pflegeversicherungsleistungen nicht schlechterstellen!

Alexander K., 25 Jahre alt, sitzt im Rollstuhl, weil er seit der Geburt gelähmt ist. Außerdem hat er eine leichte geistige Behinderung. Der junge Mann arbeitet in einer Werkstatt. Seit einigen Monaten wohnt er in einer Wohngruppe, die ambulant betreut wird, und genießt das Zusammensein mit Gleichaltrigen. Er war froh, dass die Lebenshilfe nicht nur seine Unterstützung organisiert, sondern auch eine Wohnung für die WG zur Verfügung stellt, denn barrierefreier Wohnraum ist in seiner Gegend nur sehr schwer zu finden. Auch seine Eltern sind froh, dass sich ihr Sohn so gut eingewöhnt hat. Sie konnten die umfangreiche Unterstützung nicht mehr leisten.

Um in der kleinen Wohngruppe leben zu können und notwendige Unterstützung zu bekommen, ist Alexander K. sowohl auf Leistungen der Pflegeversicherung als auch auf Leistungen der Eingliederungshilfe angewiesen.

Mit der geplanten Regelung im dritten Pflegestärkungsgesetz wird die Unterstützung aus der Pflegeversicherung auf eine geringe Pauschale begrenzt. Die entsprechende Regelung des § 43 a Sozialgesetzbuch (SGB) XI soll auch auf ambulant betreute Wohngruppen ausgedehnt werden, die dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz unterliegen. Damit erhält Alexander K. (Pflegestufe 3) statt 1.612 € im Monat nur noch eine Pauschale von 266 Euro.

Die Finanzierung seiner WG ist dadurch unmöglich. Da Länder und Kommunen mit der Reform der Eingliederungshilfe das Ziel verfolgen, Kostensteigerungen einzudämmen, befürchtet die Lebenshilfe, dass die Eingliederungshilfe auch nicht für die fehlenden Leistungen aus der Pflegeversicherung einspringen wird.

Dies kann für Alexander K. fatale Folgen haben. Allein aus Kostengründen und entgegen seiner eigenen Lebensvorstellung muss er womöglich in eine Wohneinrichtung umziehen. Wegen seines hohen Pflegebedarfs droht im schlimmsten Fall sogar der Umzug ins Pflegeheim.

Die Lebenshilfe fordert, Leistungen der Pflegeversicherung müssen den leistungsberechtigten Menschen mit Behinderung genauso zustehen wie allen anderen Versicherten. Sie brauchen zur Teilhabe beides: Leistungen der Pflegeversicherung und der Eingliederungshilfe. Menschen mit Behinderung dürfen nicht in die Pflege abgeschoben werden.


 

Wer will schon, dass eine Kleinigkeit das Leben in Unordnung bringt? © Bundesvereinigung Lebenshilfe/Michael Schultz, www.typelover.de

Beispiel 2: Menschen mit Behinderung nicht von Unterstützung ausschließen!

Mario S., 50 Jahre alt, wohnt im ambulant betreuten Wohnen der Lebenshilfe und arbeitet in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Mario S. wird über Eingliederungshilfe drei Stunden in der Woche bei Geldangelegenheiten und Behördengängen unterstützt.

Nach dem vorliegenden Entwurf des Bundesteilhabegesetzes wird Mario S. die Berechtigung für Unterstützung durch Eingliederungshilfe voraussichtlich verlieren. Denn nach § 99 SGB IX neue Fassung muss er in mindestens 5 der dort beschriebenen 9 Lebensbereiche Unterstützungsbedarf aufweisen, um weiterhin Eingliederungshilfe zu erhalten. Diese Schwelle ist sehr hoch. Seine Teilhabe-Einschränkungen liegen vor allem in einem der 9 Lebensbereiche: „8. Bedeutende Lebensbereiche“ (z. B. Arbeit und Beschäftigung und wirtschaftliches Leben).

Angesichts seiner geistigen Behinderung ist Mario S. jedoch dringend auf die bisherige Unterstützung angewiesen. Wird ihm die Unterstützung durch Eingliederungshilfe entzogen, kann er seinen Alltag nicht mehr bewältigen. Er kann seine Geldangelegenheiten nicht mehr regeln, verschuldet sich und droht zu verwahrlosen.

Die im Gesetzentwurf neu eingefügte Ermessensregel, wonach auch Menschen Leistungen erhalten „können“, wenn in weniger als 5 Lebensbereichen Einschränkungen vorliegen, hilft dabei nicht: Denn für das Ermessen muss der Unterstützungsbedarf ähnlich ausgeprägt sein. Zudem kann das Recht auf eine Ermessensentscheidung einen eindeutigen Rechtsanspruch – wie er heute für Menschen mit Behinderung wie Mario S. im Gesetz verankert ist – nicht ersetzen.

Die Lebenshilfe fordert daher, die Voraussetzung von Unterstützungsbedarf in 5 der 9 Lebensbereiche zu streichen. Sonst drohen gerade Menschen mit Behinderung, bei denen mit einem geringen Unterstützungsaufwand ein Leben mit Teilhabe erreicht werden kann, aus dem Gesetz zu fallen. Dies muss unbedingt verhindert werden!


 

Wer will schon sein Zuhause verlieren weil das Geld nicht reicht? © Foto Hans Beyer. Szenen sind gestellt von Schauspieler(inne)n des Theaters RambaZamba Berlin, Grafik Michael Schultz, www.typelover.de

Beispiel 3: Kosten der Unterkunft in Wohnstätten vollständig übernehmen!

Conni M., 35 Jahre alt, hat das Down-Syndrom. Sie geht in eine Werkstatt und lebt seit 15 Jahren in einer Wohnstätte. Mit ihren Mitbewohnern Ingo L. und Maria P. ist sie eng befreundet. Obwohl Conni M. kaum verständlich spricht, haben die drei viel Spaß miteinander. Auch die Betreuer kennen Conni M. gut und können sie dabei unterstützen, sich gesund zu ernähren, damit ihre Zuckerkrankheit nicht richtig ausbricht. Ihre Eltern sind bereits gestorben, und der Rückhalt in der Wohnstätte ist für Conni M. sehr wichtig.

Menschen wie Conny M., die in einer Wohneinrichtung leben und wegen ihrer Beeinträchtigung ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können, erhalten Leistungen der Grundsicherung. Dazu gehören die Kosten der Unterkunft, bei denen der Bund künftig nicht die tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft übernehmen wird, sondern nur einen gedeckelten Betrag. Dieser orientiert sich an der Warmmiete eines Einpersonenhaushalts mit einem maximalen Zuschuss von 25 % für die behinderungsbedingten Aufwendungen. Diese Regelung verkennt, dass Wohneinrichtungen besonderen rechtlichen Anforderungen unterliegen, z. B. in Bezug auf den Brandschutz und Mitarbeiterräume, über die deutlich höhere Kosten entstehen und die mit einem Einpersonenhaushalt nicht vergleichbar sind.

Selbst mit Zuschuss wird der Betrag nicht ausreichen, um die in einer Einrichtung entstehenden Unterkunftskosten zu decken. Damit droht der Wohnstätte das finanzielle Aus. Conni M. und ihre Mitbewohner würden dann ihr Zuhause verlieren.

Durch die derzeit geplanten Regelungen sind die bedarfsgerechten Wohnangebote gerade für Menschen mit einem hohen Unterstützungsangebot in ihrer Existenz bedroht. Die Lebenshilfe fordert daher, dass die tatsächlichen und auch bislang anerkannten „Mietkosten“ in bestehenden Wohneinrichtungen vom Bund in voller Höhe übernommen werden.


 

Wer will schon wieder in den Zoo wenn das Herz was anderes sagt? © Foto Hans Beyer. Szenen sind gestellt von Schauspieler(inne)n des Theaters RambaZamba Berlin, Grafik Michael Schultz, www.typelover.de

Beispiel 4: Kein Gemeinschaftszwang für Menschen mit Behinderung!

Franziska P., 27 Jahre, lebt im betreuten Wohnen. Sie arbeitet in der Druckerei der Lebenshilfe Werkstatt, malt und tanzt gerne. Da sie sich nicht so gut allein orientieren kann, braucht sie Unterstützung bei Freizeitaktivitäten. Seit zwei Jahren ist sie mit Jonny B. zusammen, die beiden verstehen sich prächtig und genießen jede Minute der Zweisamkeit. Es nervt sie, dass sie immer wieder mit anderen Bewohnern ihre Freizeit teilen müssen, nur weil sie wegen ihrer Behinderung Unterstützung benötigen.

Das Bundesteilhabegesetz sieht vor, dass die Unterstützung von mehreren leistungsberechtigten Menschen mit Behinderung gemeinsam erbracht wird, soweit dies zumutbar ist.

Wenn Menschen mit Behinderung gegen ihren Willen viele Unterstützungsleistungen mit anderen teilen müssen, ist für sie eine selbstbestimmte und individuelle Gestaltung ihres Alltags nicht mehr möglich. Besondere Einschränkungen ergeben sich durch diese Regelung bei den Unterstützungsleistungen zum Wohnen und bei der Freizeit.

Die Lebenshilfe sieht in der neuen Regelung eine Einschränkung des Wunsch- und Wahlrechts und des Rechts auf Selbstbestimmung. Das widerspricht der Zielsetzung des Gesetzes.

Die Lebenshilfe fordert daher, dass Menschen mit Behinderung Unterstützungsleistungen nur dann mit anderen teilen sollen, wenn sie dies wollen und deshalb ihre Zustimmung dazu gegeben haben. Dies gilt besonders beim Wohnen und in der Freizeit. Die Lebenshilfe ist gegen „Gemeinschaftszwang“.



 

Wer will schon seinen Traum begraben weil das Sparbuch ans Sozialamt geht? © Foto Hans Beyer. Szenen sind gestellt von Schauspieler(inne)n des Theaters RambaZamba Berlin, Grafik Michael Schultz, www.typelover.de

Beispiel 5: Menschen mit Behinderung das Recht auf ein Sparbuch geben!

Melanie A., 32 Jahre alt, arbeitet in der Wäscherei der Lebenshilfe-Werkstatt. Sie wohnt noch bei ihren Eltern, die einen Kiosk betreiben. Sie ist unternehmenslustig und von anderen Ländern fasziniert. Reise-Reportagen sind ihre liebsten Sendungen im Fernsehen. Nun möchte sie gerne nach Teneriffa fliegen – dafür spart sie seit 3 Jahren von ihrem Lohn.

Das Bundesteilhabegesetz sieht vor, dass die Vermögensfreigrenzen bei den Unterstützungsleistungen für Menschen mit Behinderung erheblich gesteigert werden. Menschen mit Behinderung haben künftig einen Vermögensfreibetrag von 50.000 € und das Partnervermögen wird vollständig freigestellt.

Für Menschen mit einer geistigen Behinderung sind diese Regelungen im Bundesteilhabegesetz aber bedeutungslos. Sie sind meistens für ihren Lebensunterhalt auf Grundsicherung (Sozialhilfe) angewiesen. Die Vermögensfreigrenze bei der Grundsicherung liegt weiterhin bei lediglich 2.600 €.

Die Lebenshilfe fordert, dass auch Menschen, die wegen ihrer Behinderung neben Leistungen der Eingliederungshilfe existenzsichernde Leistungen erhalten, mehr als 2.600 Euro ansparen dürfen. Auch sie brauchen mehr Spielraum und das Recht auf ein Sparbuch. Hierfür müssen die Regelungen zur Vermögensanrechnung im Sozialgesetzbuch (SGB) XII mindestens an die besseren Vorschriften im SGB II (Hartz IV) angepasst werden.

<-- Eine Seite zurück

nach oben